Sie sind aktives Mitglied bei den Anonymen Alkoholikern (AA). Würden Sie uns bitte einen Einblick in die Aktivitäten der Selbsthilfegruppe geben?
Ich bin seit über zehn Jahren bei den AA. Dabei handelt es sich um eine Selbsthilfegruppe bei der es vor allem (aber nicht nur) darum geht, keinen Alkohol mehr zu trinken. Eine wichtige Voraussetzung ist der ehrliche Wunsch mit dem Trinken aufzuhören. Ehrlich war für mich besonders wichtig, weil ich anfangs dachte irgendwann wieder normal trinken zu können. Solange das im Hinterkopf steckte, fehlte mir der Ernst. Der Gedanke „12 Schritte“ (unsere Basis zum Arbeiten) und „12 Wochen“ und ich bin dann wieder gesund, stellte sich bald als völlig falsch und blödsinnig heraus. Einerseits kann ich nicht gesundwerden, sondern die Krankheit nur zum Stillstand bringen, andererseits sind die „12 Schritte“ bzw. deren Inhalt eine Krücke / Hilfsmittel / Stützräder, die mich wohl nicht nur während des Tages, sondern ein Leben lang begleiten und unterstützen können. Denn einmal Alkoholiker (alkoholkrank) immer Alkoholiker.
Bei uns gibt es Dienste, das heißt, ich kann mich in die Gemeinschaft einbringen. So begann ich als Gruppenkassier. Es gibt bei uns keine Mitgliedsbeiträge aber da wir uns selbst erhalten (Mieten für die Räume in denen unser Treffen stattfinden, Broschüren die an Neue Mitglieder verteilt werden) fallen Kosten an. Und für diese Kassa war ich zuständig.
Verantwortung übernehmen!!
Dann wurde ich zum Gruppensprecher gewählt (von der Gruppe). Meine Aufgabe war außerdem dafür zu sorgen, dass immer einer nach dem anderen spricht. Das ist bei uns ganz wichtig. Es wird keiner unterbrochen ob er/sie nun flüssig spricht oder stockend. Auch gibt es keine Kommentare dazu, denn es sind eigene Erfahrungen die jemand von sich gibt oder Befindlichkeiten. Wir nennen das „Erfahrung, Kraft und Hoffnung teilen“.
Zu Beginn, als ich in die Meetings (so nennen wir unsere Treffen) gegangen bin, hatte ich gar nichts von dem (Hoffnung etwas, denn darum war ich ja da) aber keine Erfahrung und keine Kraft.
ABER ich erkannte, dass es mir gutgetan hat, wenn ich dort meine Sorgen, meinen Ballast, all den Müll, den ich wie Steine herumtrug, loswerden konnte. Das hilft mir auch heute noch.
Alsbald wurde ich zum Sprecher für Öffentlichkeitsarbeit gewählt. Zum einen fühlte ich mich geschmeichelt, zum anderen merkte ich bald, dass sich um diesen Dienst keiner bemühte. Ist doch eines der wichtigsten Dinge unsere „Botschaft“ an noch Trinkende weiter zu geben! Da ich mich nicht nur mit dem Programm, sondern auch mit den Problemen anderer beschäftigte, kam ich schön langsam von der Trockenheit (nichts trinken) zur Nüchternheit.
Heute weiß ich, dass ich meinen heutigen Zustand (stabile Zufriedenheit) diesem Dienst zu verdanken habe.
Jetzt bin ich Kassier für die Region OÖ und im Organisationsteam für das DLT (deutschsprachiges Ländertreffen).
Wie veränderte sich ihr Leben durch die Mitgliedschaft bei den Anonymen Alkoholikern?
Mein Leben wurde durch die Tatsache, dass ich zum Trinken aufhören konnte stark beeinflusst.
Durch das Programm und die Schritte lernte ich mich selbst kennen. Meine Stärken, aber viel mehr noch meine Schwächen und wie ich denen beikomme. Ich war bereit mich zu verändern. Ich glaubte immer ehrlich zu sein, aber es fehlte mir stets an klarer Aussage (Ja oder Nein und nicht naja mm, vielleicht, kommt drauf an, mal sehen).
Ich lernte auf mich zu achten, nicht nur darauf wie es mir geht, sondern auch darauf wie und was ich fühle. Sowohl gute Gefühle wie Freude, als auch schlechte Gefühle wie Hass oder Wut sind normal, wenn ich richtig damit umgehe.
Ich achte auch heute (aber nicht mehr so penetrant) auf mein Umfeld. Wer oder was tut mir gut oder nicht. Gutes ranlassen, Schlechtes abwehren.
Was kann ich dafür tun, dass ich mich wohl / gut fühle!!
Inwiefern war für Sie in Bezug auf ihre Erkrankung eine ärztliche Betreuung und Begleitung notwendig und wichtig?
Ich habe nie begriffen wie gut es mein Hausarzt mit mir meinte. Ich dachte, wenn ich ihm die Wahrheit über meine Trinkmenge erzähle, wird er mich als Alkoholiker bezeichnen und das wollte ich nicht. Denn ich war weder heruntergekommen, nicht arbeitslos (noch nicht), war gepflegt und meine eigene Fahne roch ich nicht. Ja ich war auch der Meinung ich fahre nicht alkoholisiert mit dem Auto (eine der Lügen die ich selbst glaubte).
Und ich kann ja jederzeit aufhören, wenn ich will, aber das war wieder eine Lüge die ich bis zum bitteren Ende immer noch glaubte. Ich merkte auch nicht dass meine 1/8 dann ¼ Gläser inzwischen zu halb Liter Gläser gewachsen waren und die Stamperl ja auch keine Stamperl mehr waren.
Kurz, der Arzt war ein Feindbild der mir den Alkohol wegnehmen will/muss!
Heute weiß ich, dass ich einen super Deal gemacht habe. Ich habe den Alkohol gegen viele gute Dinge, Erfahrungen und Ereignisse getauscht.
Ein Licht begann in mir aufzugehen, als ich einen befreundeten Arzt aufsuchte. Er war ein ehemaliger Schulfreund und ist Neurochirurg im WJK (NMC) zu dem ich nicht nur ehrlich war, sondern auch Vertrauen hatte (alter Kumpel). Er wollte, dass ich bei ihm im Krankenhaus vorbeischaute. Und obwohl ich da schon ahnte (und die Diagnose war klar) was los ist, trank ich weiter (ich hab’s ja eh unter Kontrolle).
Aber es sollte anders kommen als ich glaubte. Als ich mir wieder einmal die Rippen gebrochen hatte und ich im NMC landete, gab ich zu, dass ich ein Alkoholproblem hatte.
Jetzt wusste ich, dass es an mir lag zu erkennen und einzugestehen, dass ich Alkoholiker/Alkoholkrank bin.
Meiner Erfahrung nach ist der Betroffene oft der Letzte der das kapiert!!
Welche Potenziale sehen Sie in einer Zusammenarbeit mit Ärzten und SpitalsmitarbeiterInnen?
Solange der Patient/Betroffene/der Alkoholiker nicht einsichtig ist, hat jede Hilfe kaum Chancen. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Trinkender, der noch nicht süchtig ist, also nicht alkoholkrank, durch ein offenes Gespräch dazu gebracht werden kann über seine Situation nachzudenken.
Wenn ich aber an mich denke, der immer vom eigenen Verhalten so überzeugt war, findet die Einsicht nicht ohne Tiefpunkt statt (wenn der persönliche Leidensdruck größer als alles andere ist). Kapitulation vor und nicht Waffenstillstand mit dem Alkohol.
Was ist aus ihrer Sicht neben der medizinischen Behandlung noch wesentlich und hilfreich, um mit der Erkrankung Alkoholismus zurecht zu kommen? Haben Sie Tipps für Gleichgesinnte?
Die medizinische Behandlung ist nur der Beginn nichts mehr zu trinken. Eventuell unterstützt durch Medikamente.
Klar ist, dass ich das alles nur für MICH mache und nicht für den Partner, Hund oder Richter oder um der Führerschein wieder zu erlangen.
Es ist keine einmalige Angelegenheit (Behandlung) denn auch die Krankheit dauert an und solange ist auch eine Behandlung notwendig/ratsam/erforderlich.
Es ist daher eine „Nachsorge“ in welcher Form auch immer unbedingt erforderlich. Es kann ein persönlicher Therapeut sein (Nachteil eine Meinung und keine persönliche Erfahrung) oder SHG deren es sehr viele gibt (Verzeichnis Alkohol betreffend). Wofür sich der/die einzelne entscheidet ist eine persönliche Sache. Wichtig ist, dass man sich, wo auch immer (nach vielleicht anfänglichen Problemen, was Neues) dort wohl fühlt und in einem besseren Zustand weggeht als man dorthin gegangen ist. Mein Rat ist einfach ausprobieren und dann entscheiden. Auch diese Entscheidung ist nicht in Stein gemeißelt und wenn man schlauer geworden ist (sich geändert hat) und sich daher anders entscheiden möchte, dann ist es so.
Allerdings habe ich schon erlebt, dass nach einiger Zeit jemand sagt „ich bin eigentlich kein Alkoholiker“ und daher geht; wieder rückfällig wird und aus Scham nicht wiederkommt.
Wenn Sie jemand fragen würde, ob es Sinn macht sich den Anonymen Alkoholikern anzuschließen. Welche Vorteile eines Beitritts würden Sie dieser Person nennen?
Die AA gibt es schon seit 1935, die „12 Schritte“ (Basis des Programms) sind zwar schon alt (Ausdrucksweise, wording) aber der Inhalt ist zeitlos. Die Chance trocken zu werden und ein nüchternes Leben führen zu können ist groß. Zahlen dazu gibt es keine belegbaren, da es keine Mitgliederlisten etc. gibt und auf die Anonymität sehr viel Wert gelegt wird.
Die Anonymität ist nicht nur für Neue wichtig, sondern wird von allen gepflegt und respektiert. Jeder bestimmt wie er mit seiner Anonymität umgeht (aus ihr heraustritt) muss aber die des Anderen schützen.
Scham ist der häufigste Grund warum der Alkoholiker anonym bleiben will. Er schämt sich für das was er/sie während der Trinkzeit angestellt hat. Das Bild des Alkoholikers in der Gesellschaft ist meist noch so; männlich, stinkend, arbeitslos, Fahne, verkommen. So will keiner sein. Alkoholkrank kann jedoch jeder werden unabhängig des Geschlechtes, Standes oder des Getränkes (Bier, Wein, Cognac) und der Menge. Der eine wird süchtig und krank der andere nicht. Pasta!
Bei AA zu sein schützt nicht vor Rückfall! Hat nun jemand einen Rückfall und ist nicht anonym kann es dazu kommen, dass es heißt „jetzt ist er bei AA und sauft noch immer“. Also Schutz der Gemeinschaft.
Wir sind alle gleich, es gibt keinen Besseren oder Schlechteren, unabhängig davon welche Stellung jemand in der Gesellschaft hat. Kommunikation auf gleicher Augenhöhe wird praktiziert, wir reden uns mit Vornamen an (Anonymität) und sind per du.
Der Anonymität und der Kosten wegen (AA erhält sich selbst, keine Mitgliedsbeiträge oder Spenden) werden auch die Räumlichkeiten entsprechend gewählt.
Der Austausch unter Gleichgesinnten ist einfacher (niedrige Hemmschwelle) als mit Therapeut oder Theoretikern. Ziel ist Hilfe zur Selbsthilfe. Ich kann durch die Erfahrung anderer lernen, finde mich auch in anderen Lebensgeschichten, um Rückschlüsse ziehen zu können. Besonders Neue, die doch noch Verlangen zum Trinken haben (oft nur kurzfristiger Saufdruck) haben die Möglichkeit, sich in dieser schwierigen Situation mit AA Freunden auszutauschen und Hilfe zu finden. Ohne Erklärung weiß jeder wo der Schuh drückt.
Obwohl jeder weiß, dass er ein Leben lang nichts mehr trinken darf, ist unser Ziel 24 Stunden nicht zu trinken, ein erreichbares Ziel (Latte nicht zu hochlegen). Trotzdem wird keiner verurteilt, falls jemand sein Ziel nicht erreicht, denn jeder von uns weiß wie schwer das sein kann. Keiner wird von heute auf morgen alkoholkrank und eben so langsam wird man trocken.
Nichts zu trinken ist jedoch nicht das einzige und langfristige Ziel. Durch die praktische Anwendung der 12 Schritte im täglichen Leben und die Tatsache, dass der Gedanke an Alkohol allmählich schwindet, verändert sich das Innenleben (Wesen) wie es sich vorher durch den Konsum von Alkohol ebenso verändert hat. Man beginnt wieder Verantwortung für sein Leben zu übernehmen und überrascht dadurch Angehörige und Freunde.
Ich habe mit den alten Freunden nicht gebrochen aber meine Interessen waren jetzt andere, tlw. neue Interessen und daher gingen die Wege in andere Richtungen.
Da dies, wie ersichtlich ist, ein langfristiges Unterfangen ist, ist es alleine zäh und hart. In der Gemeinschaft wird das ganze einfacher. Nicht nur Erfahrung, Kraft und Hoffnung teilen, sondern auch geteiltes Leid ist halbes Leid.
Bitte beschreiben Sie für interessierte Patienten und Patientinnen wie man sich eine Teilnahme an dieser SHG – Gruppe vorstellen kann.
Wir beginnen mit der Präambel (das ist überall gleich) gefolgt von Stille und Gedanken an die Personen, die nicht da sind, oder vielleicht noch trinken.
Es können besondere Vorkommnisse besprochen werden, die jemand vorbringen möchte und/oder es gibt eine Befindlichkeitsrunde.
Falls im Vorfeld (z.B. voriges Meeting) kein Thema gemeinsam fixiert wurde, liest der Gruppensprecher oder einer der möchte etwas aus der Literatur (DACH, Blaues Buch) oder vielleicht hat jemand etwas vorbereitet.
Dann kann sich jeder der will zu Wort melden (einer/eine nach dem anderen) nach Möglichkeit 3-5 Minuten Rededauer (kann sich ja noch einmal melden).
Zum Abschluss wird der Gelassenheitsspruch gesprochen:
„Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut
Dinge zu ändern die ich ändern kann, und die Weisheit, dass eine vom anderen zu unterscheiden.“
Für mich inzwischen ein wichtiger Spruch den ich wenigstens einmal am Tag spreche.
„Gott, gebe mir die Geduld mit Veränderungen, die ihre Zeit brauchen,
und Wertschätzung für alles, was ich habe.
Toleranz gegenüber jenen mit anderen Schwierigkeiten
und die Kraft aufzustehen und es wieder zu versuchen – Nur für heute.“
Dieser 2. Teil oder Absatz ist mir und einigen anderen nicht so geläufig, weil wir ihn seltener sprechen.
Mir gefallen aber „Geduld mit Veränderungen“ und „die Kraft aufzustehen…“. Für meine Veränderungen oder besser gesagt abzuwarten, was da aus mir wird; nicht nur Geduld, sondern auch Mut.
Und die Kraft wieder aufzustehen erinnert mich an den Rückfall den ich auch hatte (gehört wohl dazu ??). Ja und dann „nur für heute“, für 24 Stunden.
Kontaktdaten der SHG Gruppe
Zentrale Kontaktstelle der AA in Österreich
Barthgasse 5, 1030 Wien
Tel.: 01 7995599
Oberösterreich
Tel.: 0664 2072020
Mail: ooe@anonyme-alkoholiker.at
Homepage: www.anonyme-alokoholiker.at
Deutschsprachiges Ländertreffen der Anonymen Alkoholiker
DLT 2021 Wels (anonyme-alkoholiker.at)