Sie sind selbst von einer Epilepsie-Erkrankung betroffen. Mit welchen Herausforderungen waren und sind Sie nach wie vor konfrontiert?
Aufgrund meiner eigenen Epilepsie-Erkrankung war und bin ich selbst oft mit Vorurteilen konfrontiert; wurde somit von Mitschülern oft verspottet, ausgeschlossen und diskriminiert. Von Lehrern wurde ich in meiner schulischen Leistungsfähigkeit unterschätzt und nicht unterstützt, sei es aus deren Unwissenheit oder Unvermögen heraus. Nur von wenigen Lehrern wurde ich verständnisvoll unterrichtet und liebevoll angenommen. Manche Lehrer und Ärzte meinten sogar, ich könnte nicht einmal den Hauptschulabschluss beenden. Dies führte in meiner Jugend zu starken Minderwertigkeitsgefühlen, Mangel an Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein, was mich auch heutzutage als Erwachsene teilweise noch belastet.
Meine Lehrerin in Deutsch war nicht imstande auf meine Verlangsamung Rücksicht zu nehmen. Ich hatte kaum einen Rechtschreibfehler, konnte aber wegen der Nebenwirkung der Medikamente nicht mit dem raschen Diktattempo mitschreiben und musste somit immer wieder Wörter auslassen. Das wurde immer als Fehler gesehen.
Ich war ein sportliches und aktives Mädchen und Turnen hätte mir gut getan und Spaß gemacht. Aus Unsicherheit und Ängsten der Lehrer wurde mir das Turnen verboten, was zu einer sozialen Ausgrenzung und Minderwertigkeit führte.
Ebenso war mir auch die Mitfahrgelegenheit an Schullandwochen verboten. Zum Ausgleich nahmen sich meine Eltern Zeit und schenkten mir besondere Tagesausflüge.
Eine fachliche Begleitung wäre für meine Lehrer, Mitschüler und mich sehr hilfreich gewesen.
Ich arbeitete in verschiedenen sozialen Einrichtungen als Behindertenpädagogin. Meine Arbeit mit den beeinträchtigten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen wurde sehr geschätzt. Aber leider wurde ich oft aus Angst und Unsicherheit der Arbeitgeber gekündigt oder von Kollegen gemobbt bis eines Tages sogar die PVA mir den Rat gab, um Invaliditätspension anzusuchen. Das war sehr schmerzhaft für mich, weil ich sehr arbeitswillig bin und große Freude an meiner Arbeit hatte. Somit engagiere ich mich heutzutage gerne ehrenamtlich.
Aber auch diese schwierigen Lebensphasen betrachte ich heutzutage als eine wertvolle Erfahrung. Darum war und ist es mir ein großes Anliegen, Menschen mit (und ohne) Beeinträchtigung ein angenehmes, erfolgreiches Leben mit viel Freude zu ermöglichen.
Durch meine eigene Lebenserfahrung entwickelten sich als Resilienz meine Stärken und ich kann mich sehr gut in die Position anderer einfühlen und bin ein kommunikationsfreudiger, teamfähiger und lernwilliger Mensch.
Von Freunden und Bekannten werde ich als „Stehaufmännchen“ bewundert, sowie als vielseitig interessierte, offene und lernbereite für Neues, sehr einfühlsame und lebenspraktische Frau gesehen.
Wie steht die Öffentlichkeit zum Thema Epilepsie?
An Epilepsie leiden etwa 1% der Bevölkerung. Damit gibt es etwa genauso viele Epilepsiekranke wie Diabetiker (Quelle: Internet). Trotzdem sind Menschen mit Epilepsien oft mit Unwissenheit, Missverständnissen, Diskriminierung und Vorurteilen konfrontiert.
Menschen mit Epilepsie leiden nicht nur an ihrer Krankheit, sondern wesentlich stärker unter den Vorurteilen ihrer Mitmenschen. Früher war es der Aberglaube an eine dämonische Besessenheit, welche die Kranken verfemte. Heute sind es Vorurteile anderer Art, zum Beispiel, die Epilepsie sei eine Geisteskrankheit und werde vererbt. Obwohl diese Vorstellungen wissenschaftlich längst widerlegt sind, halten sie sich hartnäckig. Nur langsam gelingt es durch Aufklärung davon zu überzeugen, dass Epilepsien Krankheiten sind wie andere auch, mit milden und schweren Verläufen, und dass sie heute wirkungsvoll behandelbar sind und oft sogar ausgeheilt werden.
Aus Unwissenheit und Angst ist Epilepsie auch heute leider noch ein Diskriminierungsgrund. Vorurteile verhindern die Integration Betroffener. Bei einer Umfrage zur Einstellung der Bevölkerung zu Epilepsie gaben im Jahr 2004 zehn Prozent der Befragten in Österreich an, dass Sie Epilepsie für eine Geisteskrankheit halten und dass Anfallskranke in eine geschlossene Anstalt gehören. Aber auch das Wissen Betroffener über die eigene Krankheit ist oft sehr gering.
Epilepsie wird meist als tiefer Einschnitt in das eigene Leben empfunden und wirkt sich auf viele Bereiche des Alltags aus.
Meist leiden Menschen mit Epilepsie und deren Angehörige wesentlich mehr unter der sozialen Ausgrenzung als unter der Krankheit selbst. Sowohl im privaten als auch im schulischen oder beruflichen Bereich gibt es nach wie vor viele Unsicherheiten im Umgang mit Betroffenen. Verunsicherte Arbeitgeber sind oft der Grund, warum Menschen mit Epilepsie ihre Arbeit verlieren oder erst gar keine Arbeit bekommen. Dahinter steht vor allem die Angst vor Arbeitsunfällen. Der Arbeitslosenanteil unter den Menschen mit Epilepsie ist überproportional hoch, obwohl sie trotz ihrer Erkrankung viel leisten können. Menschen mit Epilepsie weisen die gleiche Spannbreite an Intelligenz, Geschicklichkeit und Belastbarkeit auf wie alle anderen Menschen auch. Einschränkungen ergeben sich lediglich durch Symptome während eines Anfalls und gegebenenfalls zusätzliche Erkrankungen. Diese Symptome sind individuell sehr unterschiedlich.
Mehr als zwei Drittel aller Epilepsie-PatientInnen fühlen sich durch Epilepsie in ihrem täglichen Leben beeinträchtigt. Besonders hoch ist auch der Anteil an FrührentnerInnen. Der Anteil an unter 40-jährigen FrührentnerInnen mit Epilepsie liegt bei 37 Prozent gegenüber 11 Prozent bei allen FrührentnerInnen.
Es ist daher besonders wichtig, durch Aufklärungsarbeit die Vorurteile gegenüber Menschen mit Epilepsie abzubauen. Eine individuelle fachkundige Beratung bzgl. beruflicher Möglichkeiten vor Ort ist daher absolut notwendig und könnte viele Beschäftigungsverhältnisse retten.
Es überrascht mich nicht, dass Menschen mit Epilepsie durch diese soziale Ausgrenzung an Minderwertigkeit und Depressionen leiden.
Ich bin der Meinung, dass Menschen, die von Epilepsie betroffen sind, durch eine bessere Integration und Annahme wieder mehr Gesundheit erreichen könnten.
Leben bewältigen heißt auch „Lebensfreude erfahren“.
Was ist Ihnen im Hinblick auf die ärztliche Betreuung und Begleitung besonders wichtig?
Es muss wirklich ein gutes Vertrauen zu den Ärzten da sein. Ich lege großen Wert auf eine ganzheitliche Behandlung.
Was ist aus ihrer Sicht neben der medizinischen Behandlung noch wesentlich und hilfreich, um mit der Erkrankung Epilepsie zurecht zu kommen? Haben Sie Tipps für Gleichbetroffene?
Ich hatte in meinem Leben so manche Phasen, wo ich emotional sehr gestresst war, weil ich häufig in Schulzeiten ausgegrenzt oder verspottet wurde, sowie in Arbeitszeiten wegen Angst und Unsicherheit der Arbeitgeber gekündigt oder gemobbt wurde. Das tat sehr weh. Daher nahm ich schon in meiner Jugendzeit Psychotherapie in Anspruch, um diese ganzen Folgebelastungen zu verkraften und trotzdem ein gutes Leben meistern zu können. Psychotherapie würde ich jedem raten, dem es in seinem sozialen Umfeld nicht besonders gut geht. Ganz wichtig ist auch, dass man sich nicht entmutigen lässt. Denn Freude am Leben fördert auch unsere Gesundheit. Ein guter Tipp für Betroffene im Berufsleben ist das Institut LEA (Leben mit Epilepsie in der Arbeitswelt).
Wie sind Sie auf das Thema Selbsthilfe gestoßen und warum engagieren Sie sich in der Selbsthilfegruppe Epilepsie – Selbsthilfegruppe OÖ für Betroffene und Angehörige?
Ich selbst wurde einmal von einer Person, die an Epilepsie betroffen war und sich für die Selbsthilfegruppe engagierte, eingeladen. Einige Jahre später wollte diese Person die Leitung abgeben und ich war bereit, bzw. hatte Zeit dazu, dies zu übernehmen.
Bitte beschreiben Sie für interessierte Patienten und Patientinnen was in einer Selbsthilfegruppe besprochen werden kann bzw. was in einer Selbsthilfegruppe passiert.
Selbsthilfegruppen wollen den Menschen Mut machen, sie aus der Isolation holen und das Tabu rund um Epilepsie brechen.
Hauptsächlich wird in der Selbsthilfegruppe Erfahrungsaustausch gemacht. Somit können interessierte Patienten und Patientinnen hilfreiche Tipps hören und sammeln, wie andere in ihrem Leben damit umgehen und das sie nicht alleine mit solchen schweren Situationen konfrontiert sind.
Manchmal laden wir auch freiwillige Neurologen wegen medizinischen Fragen ein oder Sozialarbeiter für rechtliche Fragen, manchmal auch eine Neuropsychologin, die Landesschulärztin, die sich sehr für eine bessere Integration für Schulkinder mit Epilepsie einsetzt, die Epilepsiefachberaterin Elisabeth Pless,….
Die Selbsthilfegruppe möchte den Betroffenen und Angehörigen anbieten:
- Stärkung bzw. Begleitung zur Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls und Selbstbewusstseins
- Persönlichkeitsbildung zu einer positiven Lebenseinstellung und selbständigen Lebensführung
- Information über Krankheitsbild und Krankheitsverarbeitung
- Persönlicher und vertraulicher Austausch mit einer selbst betroffenen Expertin
- Beratung bei schulischen Fragen oder betreffend Berufswahl
- Hilfe bei Integration ins Erwerbsleben
- Beratung zu allen Fragen des täglichen Lebens (Wohnen, Freizeit, Familie usw.)
- Tipps, wie der Alltag gut gelingen kann
- Informationen im Zusammenhang mit rechtlichen Angelegenheiten
- Weitervermittlung an andere hilfreiche Stellen (z.B. Ärzte, TherapeutInnen, etc.)
- Öffentlichkeits- und Bewusstseinsarbeit zum Abbau von Vorurteilen gegenüber Menschen mit Epilepsie
Vielen Dank für ihre Zeit und den Einblick den sie uns gegeben haben!
Kontaktdaten
Für Fragen zur Epilepsie und zur Selbsthilfegruppe:
Selbsthilfe OÖ
Dachverband der Selbsthilfegruppen
Garnisonstraße 1a / 2.OG
4021 Linz
Tel.: 0732 / 797666
E-Mail: office@selbsthilfe-ooe.at
www.selbsthilfe-ooe.at